Chefs beurteilen Mitarbeiter. Vor allem die Qualität ihrer Arbeit und auch ihre Persönlichkeit im Umgang mit Kunden und Kollegen. Die Beurteilung passiert meistens anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien, wie zum Beispiel den in einem Zielvereinbarungsgespräch definierten Jahreszielen. Anhand von Zahlen ist dies leicht zu überprüfen und im Bedarfsfall können diese Ziele adaptiert werden. Was aber passiert im Bereich der Persönlichkeit? Ist es möglich, fair zu beurteilen?
Die Wahrnehmungspsychologie
Es gibt eine Grundlage für jede Art der Beurteilung, die nicht anhand von objektiv nachvollziehbaren Kriterien geschieht. Die Inhalte sind im Bereich der Wahrnehmungspsychologie zu finden. Dabei gilt es, den Begriff Realität und den Begriff Wirklichkeit zu unterscheiden. Allein die Unterscheidung hilft, um zu verstehen, dass jeder in seiner Welt lebt. Hinterfragen, was der Chef mit der Beurteilung ausdrücken möchte, ist ein wichtiges Instrument, damit Fehler reduziert werden können.
Realität
Realität bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch alles, was keine Illusion ist und nicht von den Wünschen und Überzeugungen des Einzelnen abhängig ist. Realität ist nicht vorübergehend. Damit ist die Realität unfassbar groß. Die Kriterien sind objektiv, also für alle gleich, weil man sich darauf „geeinigt“ hat.
Zum Beispiel, dass die Erde rund ist und keine Scheibe. Ein Tisch ist ein Tisch und ein Sessel ist ein Sessel. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, hilft die Realität, dass Dinge für alle gleich verstanden werden. Beispielsweise: „Du hast im Jänner 2023 einen Umsatz in Höhe von 10.000 Euro mit 10 Kunden gemacht.“
Wirklichkeit
Darunter versteht man die subjektive Bewertung. Also, das, was Menschen empfinden. Die Ausdrücke in der Sprache, die dafür benutzt werden, sind Adjektive, also Eigenschaftswörter. Zum Beispiel: „Gestern war Franz wütend!“ Ein anderer könnte sagen: „Gestern war Franz übermüdet!“ Die Wirklichkeit sagt aus, dass jeder Mensch in seiner eigenen Welt lebt. Das ist die Grundlage für Beurteilungsfehler, da jeder Mensch unterschiedliche Dinge von der Welt wahrnimmt. Beispielsweise sieht eine Schwangere verstärkt andere Schwangere, Männer Werkzeuge, die irgendwo benutzt werden und Kosmetikerinnen, ob jemand Pickel im Gesicht hat.
Was wollen Kunden, wie wird es von Mitarbeitern umgesetzt und wie beurteilt der Chef?
Die folgende Grafik zeigt ein Bespiel für die Kriterien, die für Kunden bei der Auswahl eines Kosmetikstudios wichtig sind. Dies ist eine klassische Bewertung von Kunden einem Mitarbeiter gegenüber. Für eine Führungskraft ist es wichtig, genau zu definieren, was unter Sauberkeit, Freundlichkeit, Kompetenz und guter Beratung verstanden wird, damit eine faire Beurteilung erfolgen kann. So zeigt die Statistik, dass Freundlichkeit des Personals für 86 % der Befragten wichtig ist.
Unter Freundlichkeit versteht aber jeder etwas anderes, so skurril das auch klingen mag. Ein Unternehmen in der Kosmetikbranche hat zum Beispiel festgelegt, dass die Mitarbeiter mit den Kunden immer Small-Talk betreiben müssen, damit sie als freundlich beurteilt werden. Erst bei einer Kundenbefragung hat sich herausgestellt, dass viele diesen Small-Talk als nervig empfinden und lieber ihre Ruhe haben möchten. Die Mitarbeiter wurden deshalb oftmals als unfreundlich beurteilt.
Beurteilungsfehler
Grundsätzlich lassen sich die Fehler in drei Kategorien einteilen:
Wahrnehmungsverzerrungen, wo bestimmte Aspekte überbewertet werden, die beispielsweise beim Halo-Effekt, Nikolaus-Effekt oder First-Impression-Effekt auftreten.
Maßstabsprobleme, wo es ein unterschiedliches Anspruchsniveau zwischen der bewertenden Person und dem Beurteiler gibt. Beispiel ist die „Tendenz zur Mitte“ Beurteilung.
Bewusste Fälschungen, wo bewusst manipuliert wird, um eine bessere Beurteilung zu bekommen.
Halo-Effekt
Ein Merkmal wird im Vergleich zu anderen überdimensional bewertet, andere werden eher außer Acht gelassen. Ein Mitarbeiter ist eloquent im Ausdruck, dafür wenig zuverlässig und unpünktlich. Dennoch überstrahlt (Halo bedeutet auch Heiligenschein) die Eloquenz alle anderen Kriterien.
Nikolaus-Effekt
Der Nikolaus kommt einmal im Jahr im Dezember. Er sagt den Kindern: „Gestern hast du den Müll nicht runtergetragen!“ oder „Du hast gestern deine Hausübung gut gemacht!“ Der Nikolaus spricht nicht über Ereignisse, die bereits Monate zurückliegen. Übertragen passiert das auch bei Vorgesetzten, wenn sie nicht die Leistung, die der Mitarbeiter über einen definierten Zeitraum erbracht hat, beurteilen, sondern nur ein Ereignis, das gerade erst kürzlich passiert ist.
Der First-Impression-Effekt
Man sagt, der erste Eindruck entsteht innerhalb von sieben Sekunden. Ein Mitarbeiter, der es geschafft hat, einen guten ersten Eindruck zu machen, wird über einen längeren Zeitraum tendenziell positiver beurteilt, als solche, die einen negativen ersten Eindruck verursacht haben. Beides ist subjektiv, dennoch Grundlage für viele Beurteilungen.
Tendenz zur Mitte
Dieser Effekt drückt sich so aus, dass Menschen sich grundsätzlich nicht gerne für Extreme entscheiden, wenn es keine tatsächlichen Kriterien dafür gibt. Wird zwischen einem billigen, teuren und sehr teuren Produkt entschieden, fällt die Entscheidung sehr oft zu Gunsten des teuren, aber nicht sehr teuren Produktes. Bei Mitarbeitern ist es auch so. Eher ein Befriedigend als ein Sehr gut oder ein Nicht genügend. Der Hintergrund liegt psychologisch darin, dass dies für den Beurteiler leichter zu argumentieren ist.
Folgen von Beurteilungsfehlern
Wenn Leistungen oder Potenziale von Mitarbeitern verfälscht wahrgenommen oder falsch beurteilt werden, führt das zu Nachteilen für das Unternehmen. Fehleinschätzungen können dazu führen, dass Mitarbeiter keine Weiterentwicklungschancen bekommen und demnach demotiviert werden. Dies kann zu einer hohen Personalfluktuation führen.
Wie können Fehler vermieden werden?
Es ist alles menschlich, da jeder seine Art der Wahrnehmung hat. Hinterfragen der eigenen Persönlichkeit hilft sehr, um herauszufinden, ob Beurteilungen wirklich im höchsten Maß objektiv sind. Führungskräfte sollten sich die Frage stellen, welche Personen sie grundsätzlich als eher sympathisch und positiv wahrnehmen als andere. Beurteilungen sollten schriftlich festgehalten werden. Dabei werden immer positive sowie negative Aspekte festgehalten. Feedback und Mitarbeitergespräche sollten auf Augenhöhe passieren und unbedingt stattfinden. Beurteilungskriterien sollten immer kommuniziert werden. Eine gerechte Beurteilung ist Sache des Verstandes und nicht des Herzens!
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