Vier-Tage-Woche: Zukunftsmodell oder Illusion?
Autor:
Marie Mayer
Die Idee der Vier-Tage-Woche ist nicht neu – doch in den letzten Jahren hat sie in der Arbeitswelt stark an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Unternehmen experimentieren mit kürzeren Arbeitszeiten bei gleichem Gehalt. Das Modell sieht in der Regel vor, dass Arbeitnehmer an nur vier Tagen pro Woche arbeiten, ohne dabei auf ihr volles Einkommen zu verzichten. Die Wochenarbeitszeit wird häufig von 40 auf 32 oder 35 Stunden reduziert. Ziel ist eine bessere Work-Life-Balance, mehr Produktivität und zufriedenere Mitarbeiter.
Besonders nach der Pandemie, die viele Menschen an ihre Belastungsgrenzen gebracht hat, rückt die Frage nach einer neuen Arbeitskultur in den Mittelpunkt. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und kürzere Wochen werden als Mittel gesehen, um dem steigenden Stress, Fachkräftemangel und Burnout entgegenzuwirken.
Vorteile für Arbeitnehmer
Für Beschäftigte klingt die Vier-Tage-Woche wie ein Traum: Ein freier Tag mehr pro Woche bedeutet mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbys oder Erholung. Studien und Pilotprojekte zeigen, dass viele Menschen mit einer Vier-Tage-Woche ausgeglichener und motivierter zur Arbeit erscheinen. Die Konzentration steigt, Fehlzeiten sinken und auch die Bindung an das Unternehmen wird oft gestärkt.
Ein zusätzlicher Vorteil ist die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Gerade für Eltern oder pflegende Angehörige ist ein zusätzlicher freier Tag Gold wert. Zudem können Arbeitnehmer durch den verkürzten Arbeitsweg (ein Tag weniger Pendeln) Zeit und Geld sparen – ein nicht zu unterschätzender Faktor, besonders bei steigenden Lebenshaltungskosten.
Was sagen Arbeitgeber?
Die Meinungen in der Unternehmenswelt gehen auseinander. Einige Betriebe, vor allem in kreativen oder digitalen Branchen, haben sehr gute Erfahrungen mit der Vier-Tage-Woche gemacht. Sie berichten von höherer Effizienz, zufriedeneren Teams und keiner Einbuße bei der Produktivität. Andere Firmen, besonders in der Produktion, im Einzelhandel oder im Gesundheitswesen, sehen das Modell hingegen skeptischer. Hier ist die Anwesenheit oft zwingend erforderlich – weniger Arbeitstage würden dort tatsächlich weniger Arbeitsleistung bedeuten.
Auch die Frage nach der Bezahlung ist ein Streitpunkt: Soll bei reduzierter Arbeitszeit der volle Lohn gezahlt werden? Oder muss auch das Gehalt angepasst werden? Viele Unternehmen zögern, weil sie einen wirtschaftlichen Nachteil befürchten – obwohl erste Studien das Gegenteil nahelegen.
Fast die Hälfte der befragten Unternehmen (46 %) hat sich zwar bereits mit dem Konzept der Vier-Tage-Woche auseinandergesetzt, schließt eine Umsetzung jedoch klar aus. Diese Haltung war unter den Teilnehmenden am häufigsten vertreten. Nur ein kleiner Anteil von vier Prozent gab an, die Vier-Tage-Woche tatsächlich bereits eingeführt zu haben.

Gesetzliche Lage und politische Diskussion
In Deutschland gibt es bisher keine gesetzliche Grundlage für eine Vier-Tage-Woche. Die Entscheidung liegt vollständig bei den Unternehmen. Einige Gewerkschaften – etwa in der Metall- und Chemiebranche – fordern jedoch seit Jahren eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Auch einzelne Politiker sprechen sich für Modellversuche und Förderprogramme aus.
In anderen Ländern ist man teilweise schon weiter: In Island und Belgien wurden entsprechende Konzepte bereits erprobt oder gesetzlich verankert. Diese Entwicklungen setzen auch deutsche Arbeitgeber unter Druck, sich langfristig mit dem Thema auseinanderzusetzen – nicht zuletzt im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte.
Nicht für alle Branchen geeignet
Kritiker der Vier-Tage-Woche warnen davor, das Modell als allgemeingültige Lösung zu sehen. In Berufen mit Schichtdienst, Kundenkontakt oder hoher physischer Belastung ist eine Reduzierung der Arbeitszeit oft nur schwer umsetzbar, ohne die Produktivität zu gefährden. Auch kleine Betriebe mit geringer Personaldecke haben Schwierigkeiten, freie Tage aufzufangen. In manchen Fällen kann der Versuch sogar zu höherem Arbeitsdruck führen, wenn die gleiche Menge an Aufgaben in kürzerer Zeit erledigt werden muss.
Es braucht also differenzierte Ansätze – etwa Gleitzeit, Jobsharing oder individuelle Teilzeitmodelle –, um den Bedürfnissen verschiedener Berufsgruppen gerecht zu werden.
Ein Modell mit Potenzial – aber nicht ohne Herausforderungen
Die Vier-Tage-Woche bietet große Chancen für Arbeitnehmer: mehr Lebensqualität, höhere Zufriedenheit und bessere Gesundheit. Auch Unternehmen können profitieren, wenn sie das Modell richtig umsetzen. Entscheidend ist eine offene Kommunikation, klare Zielsetzungen und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Die Zukunft der Arbeit wird flexibel, individuell und zunehmend menschenzentriert sein. Ob die Vier-Tage-Woche ein dauerhaftes Erfolgsmodell wird, hängt davon ab, wie gut sich Arbeitsprozesse anpassen lassen – und wie mutig Arbeitgeber und Politik den Wandel gestalten.